Hightech und Highspeed ohne Hightouch – geht das?

„Sie sparen Zeit.“ Mit diesem Versprechen offeriert uns die Industrie permanent neue Produkte und Dienstleistungen. Doch je intensiver Personen und Organisationen diese nutzen, umso stärker stehen sie scheinbar unter Zeitdruck. Und die Kommunikation reduziert sich oft eine wechselseitige Information.

 

Die Informations- und Kommunikationsindustrie offeriert uns permanent neue Produkte, die uns angeblich helfen, Zeit zu sparen, und uns das Leben erleichtern. Das tun sie oft auch. Doch zugleich erscheint es so, als würden wir umso stärker unter Zeitdruck stehen, je intensiver wir diese Produkte nutzen. Ähnlich verhält es sich in den Unternehmen. Obwohl in ihnen heute fast alle Geschäftsprozesse IT-gestützt ablaufen, haben sie zunehmend das Gefühl: Wir können mit den Marktveränderungen immer weniger Schritt halten.

Eine zentrale Ursache hierfür ist: Die Vorzüge der modernen (Informations- und Kommunikations-)Technologie nutzen alle Unternehmen. Also werden in der gesamten Wirtschaft die Geschäftsprozesse schneller und die Innovationszyklen kürzer. Und der effektive Umgang mit der Zeit? Er wird zunehmend ein Erfolgsfaktor, was auch solche Managementbegriffe wie „Just-in-time“ und „time-to-market“ belegen.

 

Multitasking prägt den (Arbeits-)Alltag

Auf den wachsenden Zeitdruck reagieren viele Menschen privat, indem sie ihr häusliches Umfeld noch stärker technisieren, so dass zum Beispiel fortan ihre Gärten auf Knopfdruck gewässert werden. Außerdem praktizieren sie zunehmend ein Multitasking, obwohl Studien belegen: Menschen sind schlechte Multi-Tasker. Denn mehrere Dinge parallel zu tun, bedeutet stets, seine Aufmerksamkeit zu teilen, was zu mehr Fehlern führt.

Auch in den Unternehmen ist das Multitasking gängige Praxis. Das bringen die modernen Arbeitsstrukturen mit sich. Heute haben nur noch wenige Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung mit genau definierten Aufgaben. Sie sollen vielmehr im Team vorgegebene Ziele erreichen. Also sind sie bei ihrer Arbeit auch von der Zuarbeit von Kollegen abhängig und müssen häufiger auf deren Anliegen reagieren. Entsprechend schwer können sie ihren Arbeitstag planen – speziell wenn sich auch die Zielvorgaben oft wandeln. Zudem erledigen sie meist mehrere Aufgaben parallel. Auch das kostet Konzentration und produziert Stress.

Ähnlich verhält es sich auf der organisationalen Ebene. Früher galt bei Organisationsentwicklern die Maxime: Nach einem Veränderungsprojekt sollte in einem Unternehmen einige Zeit Ruhe herrschen, damit sich der neue Ist-Zustand festigen kann und die Mitarbeiter verschnaufen können. Diese guten, alten Zeiten sind vorbei. Heute laufen in den meisten Unternehmen so viele, sich überlappende (Change-, Innovations- und Transformations-)Projekte parallel, dass das sogenannte Multi-Projekt-Management sich zu einer neuen Schlüsselkompetenz entwickelt hat.

 

Kommunikation reduziert sich auf Information

Das Leben und Arbeiten in einem solchen Umfeld hat Konsequenzen. Hierfür ein Beispiel: Unternehmen betonen zwar immer wieder, ihre Führungskräfte seien für die Entwicklung ihrer Mitarbeiter (mit-)verantwortlich. Faktisch sinkt jedoch in den meisten Betrieben die Zeit, die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern face-to-face kommunizieren, kontinuierlich – auch weil heute ein großer Teil der firmeninternen Kommunikation und somit Mitarbeiterführung per Mail bzw. digital erfolgt, insbesondere wenn viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten und die Teams weitgehend „virtuelle“ sind.

Hierdurch wird der „soziale Kitt“ in den Unternehmen brüchig. Denn es macht einen qualitativen Unterschied, ob man nur die Mail einer Person liest oder ihr gegenüber sitzt, ihr in die Augen schaut, ihre körperlichen Reaktionen wahrnimmt und hierauf reagiert. Das schafft eine andere Qualität der Beziehung sowie des wechselseitigen Verstehens; außerdem eine höhere Verbindlichkeit. Deshalb ist es kein Zufall, dass bei der elektronischen Kommunikation viel häufiger Konflikte entstehen und eskalieren.

In vielen Unternehmen reduziert sich die zwischenmenschliche Kommunikation heute zunehmend auf eine wechselseitige Information. Dabei wird zweierlei übersehen:

Erstens: Die menschliche Kommunikation lebt auch davon, dass die Gesprächspartner ihr jeweiliges Gegenüber als Individuum wahrnehmen und erleben.

Zweitens: Der persönliche Kontakt ist auch für die Beziehungsbildung und den Vertrauensaufbau wichtig.

 

Die Identifikation mit den Unternehmen sinkt

Kommt in einer Organisation die persönliche Kommunikation zu kurz, hat das oft weitreichende Auswirkungen:

  • Die Mitarbeiter fühlen sich weniger als Person wahrgenommen und gewertschätzt,
  • sie können sich weniger als Ganzes in die Organisation einbringen,
  • ein Erfahrungslernen wird erschwert,
  • Flow-Erlebnisse im Team werden vereitelt und
  • Konflikte werden nicht oder auf dem falschen Weg (zum Beispiel per Mail) ausgetragen.

Dadurch sinkt auch die Produktivität.

Eine weitere Konsequenz ist: Das Vertrauen zwischen den Beschäftigten sowie den Führungskräften und ihren Mitarbeitern sinkt. Die Mitarbeiter vereinzeln, was zu einer geringeren Identifikation mit dem Unternehmen führt. Deshalb sollten sich Führungskräfte auch Gedanken darüber machen:

  • Wann und was kommunizieren wir bewusst nicht per Mail bzw. digital, sondern im persönlichen Kontakt? Und:
  • Wie fördern wir bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit die informelle Kommunikation, da auch sie für den Beziehungsaufbau wichtig ist?

Sonst besteht die Gefahr, dass sie mit ihren Mitarbeitern irgendwann fast ausschließlich mittels elektronischer Medien kommunizieren – gerade weil diese Form der Kommunikation so einfach und bequem ist.

 

Die „Seele“ der Unternehmen bewahren

Die Top-Entscheider in den Unternehmen sollten sich zudem fragen: Wie schaffen wir in unserer Organisation eine neue Balance zwischen

  • Verändern und Bewahren,
  • An- und Entspannung,
  • betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und menschlichen Bedürfnissen?

Sonst besteht die Gefahr, dass ihre Unternehmen seelenlose Wesen werden, mit denen sich die Mitarbeiter immer weniger identifizieren.

Barbara Liebermeister